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«Was läuft falsch?» Zuerst schlichten, dann richten


«Kampfzone Garten» – so lautete der Titel eines Dokumentarfilms des Schweizer Fernsehens Mitte Mai über Nachbarschaftsstreitigkeiten. Nachbarn, die sich aufs Bitterste bekämpfen, wenn es um Lärm, Schmutz, Sicht geht, und die bereit sind, bis zum Letzten zu gehen. Nicht nur bei Auseinandersetzungen unter Nachbarn werden Kampfzonen etabliert, auch bei Konflikten in Paarbeziehungen, in der Familie, im Bauwesen oder am Arbeitsplatz werden Meinungsverschiedenheiten oftmals mit harten Bandagen ausge- fochten. Um zu ihrem Recht zu kommen, tragen die Konfliktparteien häufig jahrelange Streitereien aus, die nicht selten vor dem Richter enden

Dabei wird übersehen, dass «recht haben» und «recht bekommen» nicht dasselbe sind. Dass vor Gericht nicht über «Gerechtigkeit» verhandelt wird. Das subjektive Gerechtigkeitsempfinden, das sich darin ausdrückt, was eine Konfliktpartei als gerecht oder als richtig ansieht, findet in den Rechtsnormen keinen Niederschlag. Das, was sich die Konfliktbeteiligten letztlich wünschen – Ruhe und «ihren Frieden» zu haben, von der Gegenseite gehört und verstanden zu werden, eine Entschuldigung zu erhalten, um nur einige Möglichkeiten zu nennen –, bleibt dabei auf der Strecke. Der Richterspruch führt vielleicht an der Oberfläche zu einem Ende des Streites, der Konflikt als solcher schwelt im Untergrund weiter und bricht irgendwann wieder auf.

Der Schaden, der dem Einzelnen dadurch entsteht, kann in finanzieller Hinsicht und auch durch die psychischen Auswirkungen, die solche jahrelangen Auseinandersetzungen mit sich bringen können, enorm sein. Verlust des Vermögens, Verlust des Arbeitsplatzes, Auseinanderbrechen von Familienstrukturen können die Folgen sein. Das zieht Folgekosten in der Gesellschaft und in der Wirtschaft nach sich. Arbeitnehmer, die ihre Leistung nicht mehr erbringen, infolge Krankheit ausfallen, Geschäftsabschlüsse, die nicht zustande kommen, oder vertraglich vereinbarte Leistungen, die nicht zeitgerecht oder in minderer Qualität erbracht werden.

Mit Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung 2011 hat der Gesetzgeber der vor- bzw. aussergerichtlichen Streitbeilegung bzw. Einigung einen hohen Stellenwert beigemessen – getreu dem Motto «Zuerst verhandeln und schlichten, dann richten». Die Justiz soll nur angerufen werden, wenn die Privaten den Konflikt nicht selber lösen wollen oder lösen können. Damit wird die Parteiautonomie im Sinne einer Förderung der eigenverantwortlichen Beilegung von Konflikten gestärkt. Ziel ist eine nachhaltige Konfliktlösung, auch zur Entlastung der Justiz.

Im Sinne von nachhaltigen Konfliktlösungen gewinnt neben der Schlichtung, die durch die Zivilprozessordnung eine Stärkung und eine gesetzliche Verankerung erfahren hat, die Mediation an Bedeutung. Als aussergerichtliches Verfahren der Streitbeilegung unterstützt sie die Konfliktparteien darin, ihren Streit einvernehmlich zu lösen. Sie orientiert sich an den Interessen der Beteiligten und deren individuellen Bedürfnissen und versucht, eine für alle passende Lösung zu finden. Nachbarn, die nicht als Verlierer oder Gewinner aus dem Kampf steigen, sondern die erfahren haben, dass man Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven anders sehen darf. Unternehmer, die gemeinsam eine Lösung erarbeiten, die sie als Gewinn ansehen und die vielleicht sogar die Fortführung ihrer Geschäftsbeziehung enthält. Erben, die ihren jahrelangen Streit in einer Atmosphäre von gegenseitigem Respekt und mit Transparenz und Offenheit endlich beilegen können. Auch das ist möglich. In seiner Botschaft zur Zivilprozessordnung hält der Bundesrat fest: «Mediation ist die konsequenteste Möglichkeit aussergerichtlicher Streitbeilegung.»

Andrea Staubli ist Präsidentin des Schweizerischen Dachverbands Mediation (SDM-FSM). In der Rubrik «Was läuft falsch?» beschreiben Verbände und Organisationen, was sich ihrer Meinung nach in der Schweiz ändern müsste.

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